Süßstoffe: Krebs, Insulin & andere Märchen – ein Beitrag geschrieben bei einem Stück Tiramisu-Kuchen.
Freunde von mir wollen sich gerade zuckerfrei ernähren und Blutzuckerspitzen vermeiden. Das ist grundsätzlich etwas, was ich begrüße… auch wenn ich so - zumindest momentan - nicht leben wollte. Immerhin schreibe ich diese Zeilen während ich einen köstlichen Tiramisu-Kuchen in meinem Lieblingscafé genieße.
Bei meinen Freunden kam aber die Frage auf, wie sie mit Cravings nach Süßem umgehen sollen. Eine Option könnten Proteinriegel sein. Diese enthalten in der Regel Süßstoffe und die Befürchtung meiner Freunde war, dass es zu Blutzuckerspitzen kommen könnte.
Vorab: Süßstoffe sind Safe. Warum? Lies weiter!
Was kannst du von diesem Artikel erwarten:
Haben Süßstoffe Einfluss auf Blutzucker und Insulin?
Wie beeinflussen sie das Mikrobiom?
Gibt es Risiken wie Krebs oder andere Nebenwirkungen?
Was mein Problem mit „natürlich ist besser“ ist.
Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dieser Artikel beschreibt eher meine Überlegungen zum Thema und soll mit gefährlichem Halbwissen aufräumen.
Was sind Süßstoffe überhaupt?
Süßstoffe sind kalorienfreie oder -arme Zuckerersatzstoffe mit hoher Süßkraft. Bekannte Mittel sind zum Beispiel Aspartam, Sucralose, Saccharin und Stevioglycosoide. In der EU sind insgesamt 12 Süßstoffe zugelassen (Quelle: Verbraucherzentrale). In anderen Teilen der Erde sind auch einige andere Süßstoffe zugelassen.
Es gibt künstliche (z.B. Aspartam) und natürliche Süßstoffe (z.B. Stevioglycosoide). Das ein Produkt natürlich ist bedeutet dabei aber keinesfalls, dass es besser ist. Das – kann man sich übrigens hinter die Ohren schreiben – gilt so gut wie überall! Nur weil etwas natürlich ist, ist es nicht gleich besser oder enthält weniger Chemikalien. Alles besteht aus Chemikalien! ALLES! Tatsächlich ist der Glaube daran, dass natürlich besser ist, ein logischer Fehlschluss. Das Gift der schwarzen Mamba (die Schlange, nicht Kobe) ist extrem tödlich… aber natürlich. Die Menge macht das Gift. Grundlagen der Chemie. 7. Klasse oder so.
Sorry… kleiner Side-Rant. Zurück zum Thema.
Sind Süßstoffe gesundheitsschädlich?
Insulin und Blutzuckerspiegel
Anders als Zucker verursachen Süßstoffe keine oder nur einen vernachlässigbar geringen Anstieg des Blutzuckers.
Vor einigen Jahren war durch Wissenschaftler wie Gary Taubes die sogenannte Kohlenhydrat-Insulin-Hypothese ein gängiges Erklärungsmodell für Übergewicht. Ich habe selbst sehr lange daran festgehalten. Der Grundgedanke ist, dass durch den Konsum von raffinierten Kohlenhydraten wie Zucker oder stärkehaltigen Lebensmitteln der Insulinspiegel stark ansteigt. Insulin funktioniert unter anderem als Speicherhormon, dass den Blutzucker reguliert, in dem es Kohlenhydrate in die Zellen schleust, wo sie zur Energieproduktion benötigt werden. Zu viel Carbs im Blut bedeuten einen höheren Blutzuckerspiegel und damit auch eine höhere Insulinantwort. Das Zuviel an Zucker wird dann in den Fettdepots gespeichert. Das soll dann zu Gewichtszunahme und Adipositas führen.
Die Kohlenhydrate-Insulin-Hypothese wurde vor ein paar Jahren debunked (mein Ziel sind immer mehr Anglizismen, bis ich diese Artikel nur noch auf Englisch schreibe…).
Lustigerweise hatte Gary Taubes dabei eine entscheidende Untersuchung beigesteuert, mit der er sein Modell ein für alle Mal beweisen wollte… und das Gegenteil eindrucksvoll nachwies. Er hält aber weiterhin an seinem Modell fest… Ist halt blöd, wenn das gesamte Geschäftsmodell auf einer falschen Grundlage aufgebaut ist.
Der Mechanismus wie Insulin wirkt ist zwar korrekt, aber für Übergewicht nicht so entscheidend. Kohlenhydrate, Proteine, Fette: alle diese Nährstoffe steigern den Blutzuckerspiegel. Die Kombination aus Fett und Kohlenhydraten hält ihn dabei allerdings länger oben. Schaut man sich kontinuierliche Glukosemessungen (CGM – Geräte für Diabetiker entwickelt, die den Blutzuckerspiegel in Echtzeit anzeigen) an, sieht man, dass buchstäblich jedes Lebensmittel den Blutzucker ansteigen lässt. Wie stark der Anstieg ist, hängt von verschiedenen (auch) individuellen Faktoren ab.
Entscheidender für Gewichtszunahme sind good old Calories. Wer zu viele Kalorien zu sich nimmt, wird zunehmen. Speisen die viele raffinierte Kohlenhydrate und Fett enthalten sind oft sehr, sehr lecker, enthalten viele Kalorien und sind nicht besonders sättigend. Ich weiß wovon ich spreche: der Tiramisu-Kuchen ist lange aufgegessen, ich will unbedingt noch mehr und bin nicht satt geworden.
Mikrobiom und Stoffwechsel
Ein weiterer Vorbehalt gegenüber Süßstoffen ist, dass sie deine Darmflora negativ beeinträchtigen könnten.
Grundlegend gilt erstmal, dass hierfür nicht genügend Daten vorliegen. Tatsächlich kam vor ein paar Jahren eine Metaanalyse raus, die herausgefunden hat, dass Süßstoffe
keinen negativen Effekt auf die Darmflora haben,
sehr wahrscheinlich einen neutralen Effekt auf die Darmflora haben und
vielleicht einen positiven Effekt auf die Darmflora haben.
Hierbei handelt es sich nur im eine Analyse von vielen! Aber sie zeigt deutlich, dass es keine Schwarz-Weiß-Aussagen in diesem Zusammenhang gibt. Wovon wir ausgehen können ist aber, dass Süßstoffe eine Effekt auf unsere Darmflora haben. Ob der gut oder schlecht ist, vermag aber niemand zu sagen. Wenn er schlecht ist, dann wohl nur in absurd hohen Mengen konsumierter Süßstoffe auf ein Mal. Darüber hinaus weisen Studien darauf hin, dass mögliche Veränderungen der Darmflora sogar reversibel sind.
Ganz grundsätzlich muss man verstehen, dass wir überhaupt noch nicht wissen, was eine gute Darmflora überhaupt ausmacht. Wir kennen nur ein paar der irrwitzig vielen Bakterienstämme, die unseren Darm bevölkern. Deine Darmflora ist erstens höchst individuell und zweitens extrem anpassungsfähig.
In seinem Buch „Diet Cults: The Surprising Fallacy at the Core of Nutrition Fads and a Guide to Healthy Eating for the Rest of Us” beschreibt Matt Fitzgerald wie Menschen und ihre Vorgänger, seit sie von den Bäumen geklettert sind, dadurch hervorstechen, dass sie sich buchstäblich an alle möglichen Nahrungsmittel, die sie auf ihren Wegen vorfanden, anpassen konnten. Wenn man so will, ist diese Anpassungsfähigkeit etwas, das uns zum Menschen macht. Es gibt Kulturen die seit Generationen fast nur vegetarisch leben (und es gibt Vegetarier und Veganer). Es gibt indigene Völker die quasi ausschließlich von Fisch und Robbenbabies leben (und es gibt Carnivore-Diäter die „denken“ ihre Diät sei der heilige Gral).
Krebsgefahr
Aspartam wurde von der WHO als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft. Auf der gleichen Liste steht auch eingelegtes und fermentiertes Gemüse und Aloe-Vera-Extrakt.
SCHLAGZEILE: EINGELEGTES GEMÜSE KREBSERREGENT!!!
Spaß beiseite. Hier wird nur bewertet, ob ein Stoff ein potenzielles Krebsrisiko birgt und nicht, ob ein echtes Gesundheitsrisiko besteht. Studien, die ein solches Risiko zeigen stammen aus Tierversuchen mit unrealistisch hohen Dosierungen. Wir erinnern uns: Die Dosis macht das Gift. Die WHO und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit sehen Aspartam weiterhin als sicher an.
Fazit
Süßstoffe sind ein guter Kalorienersatz und können dir helfen abzunehmen. Eine Diät-Cola ist eine gute Alternative zur richtigen Cola!
Sie haben keinen bzw. einen vernachlässigbaren Einfluss auf deinen Blutzuckerspiegel.
Süßstoffe schmecken trotzdem süß und wenn du deinen Geschmackssinn entwöhnen möchtest, solltest du das im Hinterkopf behalten.
Menschen haben sich entwickelt, um eine Vielzahl an Lebensmitteln zu vertragen. Das macht uns als Spezies so erfolgreich.
Die Dosis macht das Gift!
Weniger Zucker zu sich zu nehmen ist eine gute Idee. Zucker ist aber nicht böse. Kein Lebensmittel ist böse. Auch nicht Süßstoffe. Es gibt weder Big Sugar noch Big Süßstoff oder so. Nur Big Bauch, wenn man zu viel isst und Big Krank, wenn man nur Scheiß isst.
Ich bestelle jetzt noch ein Croissant.
Ciao
Marco